In der Sexualität sind die Neigungen sehr individuell und verändern sich über die lahre auch. Dennoch sind Urteile darüber, was normal ist und was nicht, schnell gefasst. Damit wird man aber niemandem gerecht. Ein Besuch in der Dominaschule Schweiz macht das deutlich.
Ein grosser Raum, gedämmte, rötliche Beleuchtung, da ein Sofa, dort ein Andreas-Kreuz an der Wand mit Hand- und Fussmanschetten und zuhinterst ein Wagen mit diversen Utensilien. So präsentiert sich der Kursraum in Zürich. Heute erhält die Marquisede Bâle eine Vertiefungsstunde zu den Themen Fussfetisch und Schnürungen im Genitalbereich. Lady Kleopatress, Domina in Ausbildung, nimmt als Beobachterin am Kurs teil. Kursleiter Tom empfängt beide Damen freundlich und bittet die Marquise, auf dem Thron Platz zu nehmen.
Für die Stunde als Testimonial hat sich der submissive «Haussklave» David zur Verfügung gestellt, der vor der Marquise auf dem Boden kniet. Die Marquise legt David als Erstes ein Halsband mit Kette an, auf Hand- und Fussfesseln wird im Rahmen der Stunde verzichtet. Sofort fragt sie David, ob das Halsband zu eng sei - dreht sich dann zu Lady Kleopatress um und ergänzt «das mache ich nur jetzt bei ihm, weil wir uns kennen. Bei meinen üblichen Gästen ist mir das ganz egal». Kursleiter Tom sitzt neben dem Thron und beginnt mit etwas Theorie über die Zusammensetzung der Kundschaft. Es gelte, die demonstrativ freiwillige und die erzwungene Domination auseinanderzuhalten. Ebenso gebe es Kunden, die positive oder aber negative Stimulation, also Erniedrigung, suchen würden. Gerade bei der Kundschaft im Bereich des Fussfetischismus müsse man auch immer vorher klären, welcher Art der Fetisch sei – geht es um den Fuss selbst oder um den Schuh oder einfach um das Material oder die Symbolik (mit den Füssen treten). David rutscht etwas auf den Knien hin und her während der ganzen Ausführungen und sofort reagiert die Marquise und organisiert ihm eine Yogamatte, da der Boden sehr kühl ist- wieder mit dem Hinweis, dass dies nur jetzt im Kurs so gemacht werde, niemals beim eigentlichen Gast.
Das sinnliche Spiel von Dominanz und Unterwerfung
Bei jeder Domina-Session gibt es ein Vorgespräch, in dem die Spielregeln geklärt werden: Was möchte der Gast, was geht, was nicht (auch seitens der Domina), und es werden Sicherheitsworte festgelegt. Sagt der Kunde «Rot», wird sofort gestoppt, während «Gelb» signalisiert, dass er bald an seie Grenzen kommen wird. Ohne gegenseitiges Einvernehmen geht gar nichts. Gegenseitiger Respekt ist ganz generell ein wichtiger Bestandteil in der BDSM-Szene, zu der auch der Bereich Femdom (weibliche Dominanz) gehört, auch wenn man daran nicht als Erstes denkt.
Die Marquise spielt mit David einige Varianten durch aus dem Bereich Fussfetisch. Sie hat ihn auf den Knien vor sich, zieht ihn an der Kette am Halsband zu sich und drückt ihm die Absätze ihrer Louboutins in den Brustkorb. Dann weist sie ihn an, ihre Schuhe zu küssen. «Nur küssen, ich will keine Zunge sehen sonst wirst du bestraft.» Weitere Situationen und Positionen werden kurz durchgespielt.
Noch trägt David ein Handtuch um die Hüfte, dieses wird aber für den zweiten Teil des Kurses abgelegt. Denn jetzt geht es handfest weiter. Sub David liegt auf dem Rücken vor dem Thron, während sich die Marquise und der Kursleiter von rechts und links über ihn beugen und mit einem dünnen Seil Schnürungen im Genitalbereich vornehmen. «Du kannst auch ruhig noch ein paar Mal drum herum», weist Tom die Marquise an. Als Nächstes werden die Bälle separiert, das Seil geht zwischen den Hoden durch und formt dadurch ein kleines Päckchen. Dann folgt ein zweites Seil, mit dem der Penis umwickelt wird. Die Marquise ist noch nicht zufrieden und macht es nochmals. «Das muss ja auch alles ästhetisch aussehen. Bondage finde ich deswegen so spannend, weil es ja auch so schön aussieht», meint sie. Viele Gäste fragen offenbar auch nach einem Foto des eingeschnürten Gesamtpakets. Während sie hier Hand anlegt, dürfen das die Kunden bei ihr nicht. Sie ist eine sogenannte «unberührbare» Domina, alles zwischen Hals und Knie ist tabu.
Tom erklärt ihr hier auch die möglichen Risiken und Probleme, die auftreten können, wenn sie es falsch macht - wie zum Beispiel ein Blutstau oder Schlimmeres. Die Marquise fragt zwischendurch beim Sub David nach, wie sich das für ihn anfühle, ob es die Empfindsamkeit steigere. David bejaht das. Die Marquise probiert noch mit anderen Seilen und anderen Schnürungen, dann ist der heutige Kurs auch schon beendet und alle Beteiligten wechseln wieder in Alltagskleidung.
Doch was ist die Motivation hinter diesem Dominanzspiel? Für Sub David ist es ganz klar die Neugier auf neue Erfahrungen und zudem, Menschen mit anderen Ideen kennenzulernen.
Einige Sklaven sind vielleicht im Alltag wichtige Entscheider und fühlen sich ganz wohl dabei, einfach mal die Kontrolle einer Domina zu überlassen. Noch immer ist der erste Gedanke, wenn jemand über Dominas oder BDSM spricht, dass die Leute doch irgendeine «Störung» haben müssten. Eine Studie von 2008 (Tuliet Richters, University of New South Wales in Sydney) zeigt aber auf, dass unter den Praktizierenden von BDSM weniger Menschen mit psychologischen Problemen sind als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung.
Genau wie es heute nicht nur zwei Geschlechter gibt, gibt es eben auch hier viele verschiedene Vorlieben. Und manche empfinden nun mal Lust im Schmerz der anderen - und umgekehrt. Kursleiter Tom, der selbst submissiv, also devot ist, versteht seine Kurse somit auch als Feminismus, als Hilfe zur sexuellen Befreiung und Befähigung der Frau. Die Feministen sind sich diesbezüglich aber nicht einig. Während die einen, radikalen Feministinnen jegliche Anwendung von sexueller Gewalt, auch die einvernehmliche, komplett ablehnen, entwickelte sich auch der sexpositive Feminismus, der jede Art weiblicher Sexualität akzeptiert. Auch am Marquis de Sade scheiden sich die Geister. Der französische Adlige, der Namensstifter des Sadismus, schilderte in seinen zahlreichen Romanen seine eigenen – schon zu der Zeit nicht gesellschaftskonformen - sexuellen Vorlieben. Für manche ist er ein amoralisches Ungeheuer, ein Sitten- und Jugendverderber oder gar ein Krimineller, andere sehen in ihm ein verkanntes literarisches Genie, einen Vorkämpfer der sexuellen Befreiung. Im BDSM-Bereich gilt aber, gegensätzlich zu de Sade, dass nichts ohne gegenseitiges Einvernehmen und Respekt passiert - genau wie es in jedem anderen Bereich der Sexualität auch sein sollte.
Eine Domina muss wissen, wie und welche Gefühle sie auslösen und kontrollieren kann. Tom Deckard vermittelt dieses Wissen in der Dominaschule.
Tom, wie bist du zur Thematik Femdom gekommen? Tom Deckard: Das war immer schon ein Teil meines Lebens. Ich bin von Natur aus devot. Ich habe das alles schon früh gespürt, bevor ich überhaupt wusste, dass es so was gibt oder was eine Domina ist. Schon im Jugendalter habe ich bemerkt, dass mich gewisse Gedanken erregen - und das hatte immer mit einer bestimmten Dame zu tun, die ich verehrt habe. Für mich ist das ganze Thema etwas Romantisches, die Hingabe für eine Frau. Man könnte das in etwa vergleichen mit den Rittern der Tafelrunde und den durch sie beschützten Hofdamen. Die Ritter haben ihr Leben in den Dienst dieser Damen gestellt, da spielte oft auch der Liebesdienst eine Rolle. Zumindest wird das so in Minnegesängen idealisiert (hohe Minne) - was zwar nicht heisst, dass dies in der Realität ständig so stattgefunden hätte. Aber wir empfinden das mit dem Dienen ähnlich: Was der Submissive tut und mit sich machen lässt, soll ein Beweis sein für die Verehrung, die Hingabe zum weiblichen Gegenüber – sowohl in privaten als auch in professionellen Sessions.
Und wie kam es dann zur Dominaschule? Vor einigen Jahren hatte ich eine angehende Domina im Fotostudio, die noch sehr wenig wusste über das Thema. Sie bat mich dann, ihr doch ein wenig zu zeigen, wie das geht. Danach entwickelte ich während zweier Jahren zusammen mit Kolleginnen und Kollegen den Grundkurs. Darin vermittle ich eine fundierte Basis über alle Bereiche. In der Schweiz ist das auch einzigartig, eine Dominaschule aus der devoten Sicht. Sonst lernt man eher direkt von einer Domina, was manche meiner Schülerinnen aber auch schon als etwas einseitig und wenig strukturiert empfanden. Zudem haben viele Dominas nicht wirklich die Geduld einer Lehrerin und vermitteln einfach ihren eigenen Stil, statt einer neutralen Basis.
Wie sieht deine Kundschaft aus? Wer besucht deine Kurse? Das ist ganz unterschiedlich. Zum einen sind es Sexarbeiterinnen, die sich weiterbilden oder umorientieren möchten. Dominas bieten ja keinen Geschlechtsverkehr an, viele geben sich sogar gänzlich unberührbar. Das ist für Sexarbeiterinnen auch ein Anreiz - weil sie eine andere Art Kundschaft erhalten, die ihnen besonders respektvoll begegnet. Diesen Wunsch habe ich oft vernommen gerade während der Pandemie, weil viele Sexarbeiterinnen stark unter Druck standen. Zum anderen sind es aber auch private Damen, mit oder ohne Partner, die es einfach für sich oder für ihren Partner machen möchten. Einige nehmen den Partner zu den den Kursen mit.
Wo siehst du die Gefahren der BDSM-Szene? Gefahren? Nach aussen keine, es wird niemand damit konfrontiert, der das nicht wünscht. Unser Grundsatz ist die Einvernehmlichkeit. Im Gegenteil übernimmt die Domina, wie natürlich auch eine Sexworkerin, eine wichtige gesellschaftliche Funktion, die Anerkennung verdient. Dominas sind eigentlich Therapeutinnen. Sie sorgen dafür, dass Wünsche und Neigungen nicht unterdrückt werden und dadurch problematisch werden könnten - bei der eigenen Psyche, mit dem Partner oder in der Gesellschaft. Die Domina bietet dafür einen sicheren Rahmen. Die wenigsten Männer trauen sich einzugestehen, dass sie allenfalls gerne dominiert würden. Die Unterdrückung der eigenen Neigungen ist die grösste Gefahr, nämlich für sich selbst.
Deine Partnerinnen haben das alles immer unterstützt? Es war immer möglich, etwas in dem Bereich zu spielen, schliesslich lässt sich jede Frau gerne mal verwöhnen. Aber es richtig mit allen Facetten Auszuleben ging nur mit wenigen meiner Partnerinnen, da die Meisten nicht wirklich dominant veranlagt waren. Seit ein paar Jahren habe ich das Glück, dass ich einer meiner Schülerinnen, der schönsten Frau die ich jemals gesehen habe, dienen darf.
Was ist für dich das Beste an deinem Job? Dass ich dabei helfen kann, Frauen in eine dominante Position zu setzen und traditionelle, konservative Rollenbilder aufzubrechen.